Karma: dieses
Wort, das hier und dort immer wieder fällt. Leute reden von "gutem"
Karma gegen "schlechtes" Karma, oder "dein" Karma
gegen "meines". Doch trotz der Beliebtheit dieses
Begriffes, scheint jeder eine andere Vorstellung davon zu haben, was
er tatsächlich bedeutet. Wenn Karma wirklich eine der wichtigsten
Lehren des Buddhas ist, wie er es selbst wiederholt betont hat, dann
müssen wir die genaue Definition dieses Begriffes kennen, um in
seine Fußstapfen treten zu können.
Das Problem
mit dem Karma-"Anbau"
Eines der
wahrscheinlich meistverbreiteten Missverständnisse von
buddhistischem Karma ist die Vorstellung, dass alles was uns
widerfährt unser Karma ist. Wenn wir im Lotto gewinnen oder einen
attraktiven Partner haben, ist das der Fall, weil wir in der
Vergangenheit gute Taten vollbracht haben – wir haben "gutes"
Karma. Wenn wir von einem Lastwagen angefahren werden oder unser
Partner uns betrügt, ist das der Fall, weil wir uns schlecht
verhalten haben und "schlechtes" Karma haben. Und natürlich
entscheidet das, was wir jetzt tun über unsere zukünftigen Erfolge.
Lasst uns das einfach als die landwirtschaftliche Sicht vom
Karma-"Anbau" bezeichnen: wir ernten, was wir säen.
Was ist also an
dieser Vorstellung falsch? Nun, ob wir Buddhisten sind oder nicht,
führt sie zu einer Vielzahl intellektueller Problemen.
Das erste Problem
ist, dass die Vorstellung vom "Ernten, was man sät"
einfach zu einem großen Teil dem widerspricht, was wir erleben. Wir
handeln gütig, vielleicht werfen wir einige Münzen in den Becher
eines Obdachlosen, und werden im nächsten Moment von ihm als
geiziger Yuppie beschimpft. Oder unser chronisch leistungsschwacher
Kollege, der die meiste Zeit auf Facebook verbringt und Büromaterial
einsteckt, wird befördert.
Anders
ausgedrückt scheinen die Bösen sehr häufig Erfolg zu haben,
während die Guten eine ordentliche Portion Mist abbekommen.
Wie kann dieser
offenkundige Widerspruch aufgelöst werden? Befürworter des
Karma-"Anbaus" bringen oft den Faktor Zeit als
Lösungsansatz an. Sie behaupten, dass, ebenso wie die Saat Zeit
braucht, um aufzugehen, die Früchte unserer Handlungen Zeit
brauchen, um heranzureifen. Das hilft natürlich. Aber einige Dinge
im Leben sind dennoch schwer zu erklären.
Warum zum
Beispiel sterben unschuldige Kinder? Sie hatten kaum genügend Zeit,
um zu lernen, Essen richtig zu verdauen, ganz zu schweigen davon,
schlechte Taten zu begehen (Natürlich müssen wir Stewie aus "Family
Guy" hier außer Acht lassen, ebenso wie die Vorstellung des
Kindes, wie sie von der berühmten Psychoanalytikerin Melanie Klein
aufgestellt wurde, die das Kind als einen bösartigen und gierigen
Sukkubus betrachtet, das entschlossen ist, die Mutter ihrer gesamten
Lebensenergie zu berauben.).
Ich bin mir
sicher, dass ihr bereits auf die Antwort gekommen seid: wir müssen
es hier mit mehr als nur einer Lebenszeit zu tun haben. In der Tat
wird behauptet, dass wir eine unendliche Anzahl in die Vergangenheit
zurückreichender Leben haben. Anhand dieser Erklärung fügen sich
all die Belohnungen und Grausamkeiten des Lebens in ein Bild
zusammen, wie bei einer geschickten Tetris-Partie. Wir haben die
Ursache für den Tot von Kleinkindern, dafür, dass wir alleine
enden, obwohl wir unserem Partner vollkommene Liebe und Treue
entgegengebracht haben; es ist einfach unsere karmische,
wohlverdiente Strafe für das Fremdgehen in einem früheren Leben.
Selbstverständlich
sind wir immer noch unglücklich, weil unser Partner zum Beispiel
jetzt mit einer Prinzessin aus Bhutan ausgeht. Aberwenigstens können
wir jetzt mit einem Gefühl von Leichtigkeit trauern, da wir wissen,
dass es eine Gewisse Ordnung der Ereignisse im Universum gibt, und
dass diese persönlichen, schmerzhaften Ereignisse lediglich die
Früchte von altem, schlechtem Karma sind. Wir können uns auch
entspannt zurücklehnen, weil wir in der Zukunft ebenfalls die
Belohnungen für unsere Redlichkeit ernten werden – es könnte halt
nur etwas dauern.
Wenn wir an
diesem Punkt aufhören, dann ist alles gut.
Wenn wir jedoch
etwas weiter über diesen logischen Schlussstrich hinaus schauen,
dann treffen wir auf das, was wir den "administrativen Albtraum"
nennen. Wie kann man bloß den Überblick über all diese guten und
schlechten Taten behalten? Und das nicht nur in einer Lebenszeit,
sondern quer durch unendliche Lebenszeiten hindurch? Welches
vorstellbare, kosmische Register könnte über all diese
Transaktionen Buch führen? Es erscheint eine administrative
Unmöglichkeit zu sein, die enorme Menge an Informationen zu
koordinieren und Ereignisse zu organisieren, durch die sich alles
richtig entfalten kann und den richtigen Menschen zur richtigen Zeit
und auf die richtige Art und Weise Gerechtigkeit zuteil wird. Die
organisatorischen Einzelheiten sind so komplex, dass es Menschen
veranlasst zu sagen, Karma wäre eine unendlich subtile,
unbeschreibliche kosmische Ordnung, die selbst den gebildetsten
Geistern verborgen bleibt.
Ein noch größeres
Problem ist die Tatsache, dass mit unendlichen Lebenszeiten, jeder
einzelne genug Karma hätte, so dass ihnen fast alles passieren
könnte. Oder anders gesagt: für jeden ist einfach alles drin.
Die Ironie dieser
Vorstellung von Karma ist, dass sie letztendlich ihren ursprünglichen
Zweck, die einzigartige, persönliche Geschichte eines Individuums zu
erklären, untergräbt.
Selbst wenn wir es irgendwie
schaffen, diese logischen Probleme abzutun, bleibt eines übrig, das
sich am Kern des Buddhismus selbst stößt. Diese Vorstellung von
Karma setzt ein beständiges Selbst voraus, das für diese Ereignisse
verantwortlich ist, während Buddhas zentrale Botschaft den radikalen
Gedanken darstellt, dass es kein Selbst (anatta) gibt. Die
Vorstellung des Karma-"Anbaus" beruht darauf, dass es eine
Art dauerhaftes "Ich" (nenne es Selbst, Seele,
Geistesstrom, oder was auch immer), das dafür verantwortlich ist,
was "ich" in der Vergangenheit getan habe und ein "Ich",
dass in der Zukunft belohnt oder verdammt wird.
Diese Vorstellung
von Karma trägt zu einem selbstverliebten, Ego-verstärkenden
Handeln bei. Anders ausgedrückt, unterstützt es eben jene
Selbst-Illusion, die der Buddha als Ursprung unseres Leidens
betrachtete.
Karma
als Absicht
Was
hat der Buddha nun wirklich mit Karma gemeint? Die Antwort ist
einfach: Absicht (cetana).
Er sagte:
"Absicht, sage ich euch, ist Karma. Durch Absicht erzeugt man
Karma mittels Körper, Rede und Geist." Indem er Karma auf diese
Weise definierte, brach Buddha radikal mit allen vorausgehenden
Denkweisen von Karma.
In der
traditionellen brahmanischen Kultur Indiens bezog sich Karma im
Allgemeinen auf Handlung. Vollbringe gute Taten und das Universum
wird dich wiederum belohnen. Aber indem er Karma als die Absichten
hinter den Handlungen einer Person neu definierte, wies der Buddha
auf eine tieferliegende Wahrheit hin: die Formen der Absichten, die
wir gewohnheitsmäßig hegen – ob sie großzügig und liebend oder
selbstsüchtig und aversiv sind –, bestimmen über das Wesen des
geistigen Raumes den wir bewohnen. Wir können nicht die vollkommene
Kontrolle darüber haben, ob unser Hund davonläuft, oder unser
Partner uns betrügt, aber wir haben ein Mitspracherecht bei der Art
der Person, die diesen Ereignissen begegnet.
Karma als Absicht
war die Kernaussage, die der Buddha immer wieder hervorhob. Je mehr
sich irgendeine Handlung des Körpers, der Rede oder des Geistes auf
vergifteten Absichten wie Gier oder Hass begründet, desto
vergifteter werden wir selbst und desto mehr leiden wir, ungeachtet
dessen, was äußerlich mit uns passiert. Das Gegenteil trifft ebenso
zu: Absichten, die von Mitgefühl und Weisheit erfüllt sind, formen
uns zu Wesen mit größerer Geduld, die weniger anfällig für Leiden
sind, ungeachtet dessen, was äußerlich mit uns passiert.
Kurz und bündig:
Bei buddhistischem Karma geht es nicht darum, was einem zustößt,
sondern wem es zustößt.
Ja, die Bösen
Können Erfolg Haben
Der Fokus, den
Buddha auf die Absicht, statt auf Handlungen und äußerliche
Umstände legte, erlaubt es uns, völlig einzuräumen, dass die Bösen
Erfolg haben können und dass selbstsüchtiges Verhalten einer Person
großes Vermögen und Macht einbringen kann. Der geistige Zustand
seiner solchen von Luxus umgebenen Person ist jedoch eine ganz andere
Sache. Das bedeutet auch, dass Handeln aus mitfühlender Absicht
heraus, uns nicht auf magische Weise vor den Stolperfallen und dem
Pfeilhagel der Unglücksfälle des Lebens schützen kann.
Doch Handeln aus förderlichen
Absichten heraus, eröffnet die Möglichkeit, zu einer Person zu
werden, die diesen Herausforderungen mit weniger Verdrießlichkeit
und größerer Leichtigkeit begegnet. Es finden sich Exemplare unter
unseren großen spirituellen Koryphäen, die diese Möglichkeit
verinnerlicht haben, wie zum Beispiel der Dalai Lama und Thich Nhat
Hanh. Die Früchte ihres Karma waren nicht die Gräueltaten, die
ihnen widerfuhren, sondern die Gelassenheit und das aktive Mitgefühl,
das sie angesichts solcher extremer Unterdrückung und Gewalt zeigen.
Ebenso ist krank
zu werden nicht das Ergebnis des schlechten Karmas einer Person.
Menschen werden alt, erfahren Leiden durch Krankheiten und sterben
schließlich. Der Buddha hat nie gesagt, dass man die richtigen
karmischen Samen säen könne, um eines dieser Dinge zu umgehen. Sie
sind einfach nicht optional.
Doch ob wir oder
ob wir nicht leiden, wenn wir mit ihnen konfrontiert werden, liegt
ausschließlich in unserer Hand.
Nicht Alles
ist Dein Karma
In gewisser
Hinsicht trifft es zu, dass Karma bedeutet, dass wir ernten, was wir
säen. Der einzige Unterschied ist, dass wir eher in den Furchen des
Geistes säen und weniger in den Feldern der physischen Welt.
Das soll nicht
heißen, dass unsere Handlungen keine Konsequenzen haben. Wenn wir
Menschen anlächeln, ist es sehr wahrscheinlich, dass man uns
zurücklächeln wird. Wenn wir Menschen schlagen, ist es sicher, dass
wir auch geschlagen werden. Dennoch ist das endgültige Ergebnis
unseres Verhaltens einigermaßen unvorhersehbar. Es kann sein, dass
wir einen Fremden anlächeln und im Gegenzug von ihm geschlagen
werden.
Diese
Unvorhersehbarkeit entsteht, weil andere Ebenen von Kausalität [bzw.
Ursächlichkeit] im Universum am Werke sind.
Nicht alles ist
unser Karma.
Der Buddha hat uns sogar über
diese anderen Ebenen von Ursächlichkeit recht deutlich unterrichtet,
in dem was uns als die fünf Niyamas bekannt ist. Es lohnt sich, sie
kurz unter die Lupe zu nehmen. Hier geben wir ihnen einen modernen
Anstrich.
Die
erste Ebene von Ursächlichkeit wird Utu Niyama genannt oder die
Ebene der Physik und Chemie.
Die
zweite Ebene ist bekannt als Bija Niyama oder biologische
Ursächlichkeit. Diese neue Ebene ist erforderlich, weil lebendige
Organismen komplexer sind, als nur ihre physikalischen und chemischen
Bestandteile.
Indem
wir die Leiter der auftauchenden Komplexität weiter hoch klettern,
sehen wir, dass einige lebendige Organismen ein Nervensystem und
einen Geist haben, der nicht vollkommen verstanden werden kann, wenn
man nur die beiden vorausgehenden Ebenen von Utu und Bija Niyama
betrachtet. Daher sprach der Buddha über Citta Niyama oder
psychologische Ursächlichkeit.
Einige
Geister haben eine engere Beziehung zu den vorausgehenden Ebenen.
Nehmen wir zum Beispiel eine Eidechse: sie verhält sich ziemlich
vorhersehbar, aufgrund der festen Verknüpfungen zwischen chemischen
Signalen und genetischen Codes. Wir werden nie einer Eidechse
beibringen können, eine Zeitung zu apportieren. Andere Geister, wie
zum Beispiel die von Hunden und Pferden, besitzen eine größere
Flexibilität. Dennoch benötigt der Hund für das Erlernen des
Apportierens einer Zeitung einen äußerlichen Impuls – genauer
gesagt, unsere beharrlichen Bemühungen. Das Verhalten stammt nicht
ausschließlich aus dem Geist des Hundes selbst. Und tatsächlich
gibt es möglicherweise nur ein Tier auf diesem Planeten, das über
einen "selbst-formenden" Geist verfügt: der Mensch. Für
uns müssen wir eine weitere Ebene der Ursächlichkeit festlegen:
karmische oder absichtliche Ursächlichkeit, bekannt als das Kamma
Niyama.
Kamma
Niyama eröffnet einen Raum für Reflexivität, Selbstorganisation
und sich ändernde, tief verwurzelte Gewohnheiten des Körpers, der
Rede und des Geistes. Die Kostbarkeit des menschlichen Lebens liegt
in diesem Potential. Anders ausgedrückt ist karmische Ursächlichkeit
eine vollkommen neue Ebene der Ursächlichkeit im Universum, die uns
die Möglichkeit schenkt zur höchsten Ebene, Dhamma Niyama oder
Äußerste Realität genannt, zu erwachen.
Dhamma
Niyama beschreibt die uneingeschränkte, unteilbare Realität, das
Universum in seiner Gesamtheit. Alle Teilbetrachtungen dieser
Sphären sind Erzeugnisse eines Geistes, der sich bemüht, das
Höchste zu erfassen. Wir erstellen Begriffsmodelle, um diese Ebene
zu verstehen, und sicherlich sind einige Modelle besser als andere.
Wäre dies nicht der Fall, hätte der Buddha sich nicht die Mühe
gegeben zu lehren. Aber auf dieser Ebene sind alle Modelle
gleichermaßen inhaltslos.
Indem wir sagen,
das alles unser Karma sei, reißen wir dieses enorme Spektrum von
Ursächlichkeit an uns und beziehen es auf einen einzelnen,
ichbezogenen Geist.
Wenn wir die
Komplexität mit der wir es zu tun haben erkennen, betrachten wir
Ereignisse nicht länger als das Ergebnis von Karma, sondern vielmehr
als das Produkt bestimmter physikalischer Ursachen und
Gegebenheiten. Wir fallen auch nicht mehr magischem Denken und
Glauben zum Opfer, so zum Beispiel wenn wir glauben, dass wir Geld
erhalten und mit Freundlichkeit überschüttet werden, wenn wir
selber Geld geben und freundlich sind.
Anstelle dessen
erkennen wir, dass wenn wir Hass durch Mitgefühl oder Habgier durch
Großzügigkeit ersetzen, ebendiese Absichten die Art des Wesens
formen, das wir werden, ob nun reich oder arm.
Das ist Karma.
~ Culadasa and
Matthew Immergut
Redakteur: Emily Bartran
[To
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It's Not About What We Do"]
(Source|Quelle:
Elephant Journal
Transl.|Übers.:
Nicolas von Kospoth)