Sunday, 7 June 2015

Karma: Es Geht Nicht Darum, Was Wir Tun [Deutsch]

(Photo|Foto: Hartwig HKD, flickr.com)
Karma: dieses Wort, das hier und dort immer wieder fällt. Leute reden von "gutem" Karma gegen "schlechtes" Karma, oder "dein" Karma gegen "meines". Doch trotz der Beliebtheit dieses Begriffes, scheint jeder eine andere Vorstellung davon zu haben, was er tatsächlich bedeutet. Wenn Karma wirklich eine der wichtigsten Lehren des Buddhas ist, wie er es selbst wiederholt betont hat, dann müssen wir die genaue Definition dieses Begriffes kennen, um in seine Fußstapfen treten zu können. 

Das Problem mit dem Karma-"Anbau"

Eines der wahrscheinlich meistverbreiteten Missverständnisse von buddhistischem Karma ist die Vorstellung, dass alles was uns widerfährt unser Karma ist. Wenn wir im Lotto gewinnen oder einen attraktiven Partner haben, ist das der Fall, weil wir in der Vergangenheit gute Taten vollbracht haben – wir haben "gutes" Karma. Wenn wir von einem Lastwagen angefahren werden oder unser Partner uns betrügt, ist das der Fall, weil wir uns schlecht verhalten haben und "schlechtes" Karma haben. Und natürlich entscheidet das, was wir jetzt tun über unsere zukünftigen Erfolge. Lasst uns das einfach als die landwirtschaftliche Sicht vom Karma-"Anbau" bezeichnen: wir ernten, was wir säen. 

Was ist also an dieser Vorstellung falsch? Nun, ob wir Buddhisten sind oder nicht, führt sie zu einer Vielzahl intellektueller Problemen.

Das erste Problem ist, dass die Vorstellung vom "Ernten, was man sät" einfach zu einem großen Teil dem widerspricht, was wir erleben. Wir handeln gütig, vielleicht werfen wir einige Münzen in den Becher eines Obdachlosen, und werden im nächsten Moment von ihm als geiziger Yuppie beschimpft. Oder unser chronisch leistungsschwacher Kollege, der die meiste Zeit auf Facebook verbringt und Büromaterial einsteckt, wird befördert.

Anders ausgedrückt scheinen die Bösen sehr häufig Erfolg zu haben, während die Guten eine ordentliche Portion Mist abbekommen.

Wie kann dieser offenkundige Widerspruch aufgelöst werden? Befürworter des Karma-"Anbaus" bringen oft den Faktor Zeit als Lösungsansatz an. Sie behaupten, dass, ebenso wie die Saat Zeit braucht, um aufzugehen, die Früchte unserer Handlungen Zeit brauchen, um heranzureifen. Das hilft natürlich. Aber einige Dinge im Leben sind dennoch schwer zu erklären.

Warum zum Beispiel sterben unschuldige Kinder? Sie hatten kaum genügend Zeit, um zu lernen, Essen richtig zu verdauen, ganz zu schweigen davon, schlechte Taten zu begehen (Natürlich müssen wir Stewie aus "Family Guy" hier außer Acht lassen, ebenso wie die Vorstellung des Kindes, wie sie von der berühmten Psychoanalytikerin Melanie Klein aufgestellt wurde, die das Kind als einen bösartigen und gierigen Sukkubus betrachtet, das entschlossen ist, die Mutter ihrer gesamten Lebensenergie zu berauben.).

Ich bin mir sicher, dass ihr bereits auf die Antwort gekommen seid: wir müssen es hier mit mehr als nur einer Lebenszeit zu tun haben. In der Tat wird behauptet, dass wir eine unendliche Anzahl in die Vergangenheit zurückreichender Leben haben. Anhand dieser Erklärung fügen sich all die Belohnungen und Grausamkeiten des Lebens in ein Bild zusammen, wie bei einer geschickten Tetris-Partie. Wir haben die Ursache für den Tot von Kleinkindern, dafür, dass wir alleine enden, obwohl wir unserem Partner vollkommene Liebe und Treue entgegengebracht haben; es ist einfach unsere karmische, wohlverdiente Strafe für das Fremdgehen in einem früheren Leben.

Selbstverständlich sind wir immer noch unglücklich, weil unser Partner zum Beispiel jetzt mit einer Prinzessin aus Bhutan ausgeht. Aberwenigstens können wir jetzt mit einem Gefühl von Leichtigkeit trauern, da wir wissen, dass es eine Gewisse Ordnung der Ereignisse im Universum gibt, und dass diese persönlichen, schmerzhaften Ereignisse lediglich die Früchte von altem, schlechtem Karma sind. Wir können uns auch entspannt zurücklehnen, weil wir in der Zukunft ebenfalls die Belohnungen für unsere Redlichkeit ernten werden – es könnte halt nur etwas dauern.

Wenn wir an diesem Punkt aufhören, dann ist alles gut.

Wenn wir jedoch etwas weiter über diesen logischen Schlussstrich hinaus schauen, dann treffen wir auf das, was wir den "administrativen Albtraum" nennen. Wie kann man bloß den Überblick über all diese guten und schlechten Taten behalten? Und das nicht nur in einer Lebenszeit, sondern quer durch unendliche Lebenszeiten hindurch? Welches vorstellbare, kosmische Register könnte über all diese Transaktionen Buch führen? Es erscheint eine administrative Unmöglichkeit zu sein, die enorme Menge an Informationen zu koordinieren und Ereignisse zu organisieren, durch die sich alles richtig entfalten kann und den richtigen Menschen zur richtigen Zeit und auf die richtige Art und Weise Gerechtigkeit zuteil wird. Die organisatorischen Einzelheiten sind so komplex, dass es Menschen veranlasst zu sagen, Karma wäre eine unendlich subtile, unbeschreibliche kosmische Ordnung, die selbst den gebildetsten Geistern verborgen bleibt.

Ein noch größeres Problem ist die Tatsache, dass mit unendlichen Lebenszeiten, jeder einzelne genug Karma hätte, so dass ihnen fast alles passieren könnte. Oder anders gesagt: für jeden ist einfach alles drin.

Die Ironie dieser Vorstellung von Karma ist, dass sie letztendlich ihren ursprünglichen Zweck, die einzigartige, persönliche Geschichte eines Individuums zu erklären, untergräbt. 

Selbst wenn wir es irgendwie schaffen, diese logischen Probleme abzutun, bleibt eines übrig, das sich am Kern des Buddhismus selbst stößt. Diese Vorstellung von Karma setzt ein beständiges Selbst voraus, das für diese Ereignisse verantwortlich ist, während Buddhas zentrale Botschaft den radikalen Gedanken darstellt, dass es kein Selbst (anatta) gibt. Die Vorstellung des Karma-"Anbaus" beruht darauf, dass es eine Art dauerhaftes "Ich" (nenne es Selbst, Seele, Geistesstrom, oder was auch immer), das dafür verantwortlich ist, was "ich" in der Vergangenheit getan habe und ein "Ich", dass in der Zukunft belohnt oder verdammt wird. 

Diese Vorstellung von Karma trägt zu einem selbstverliebten, Ego-verstärkenden Handeln bei. Anders ausgedrückt, unterstützt es eben jene Selbst-Illusion, die der Buddha als Ursprung unseres Leidens betrachtete. 

Karma als Absicht 

Was hat der Buddha nun wirklich mit Karma gemeint? Die Antwort ist einfach: Absicht (cetana). 

Er sagte: "Absicht, sage ich euch, ist Karma. Durch Absicht erzeugt man Karma mittels Körper, Rede und Geist." Indem er Karma auf diese Weise definierte, brach Buddha radikal mit allen vorausgehenden Denkweisen von Karma.

In der traditionellen brahmanischen Kultur Indiens bezog sich Karma im Allgemeinen auf Handlung. Vollbringe gute Taten und das Universum wird dich wiederum belohnen. Aber indem er Karma als die Absichten hinter den Handlungen einer Person neu definierte, wies der Buddha auf eine tieferliegende Wahrheit hin: die Formen der Absichten, die wir gewohnheitsmäßig hegen – ob sie großzügig und liebend oder selbstsüchtig und aversiv sind –, bestimmen über das Wesen des geistigen Raumes den wir bewohnen. Wir können nicht die vollkommene Kontrolle darüber haben, ob unser Hund davonläuft, oder unser Partner uns betrügt, aber wir haben ein Mitspracherecht bei der Art der Person, die diesen Ereignissen begegnet.

Karma als Absicht war die Kernaussage, die der Buddha immer wieder hervorhob. Je mehr sich irgendeine Handlung des Körpers, der Rede oder des Geistes auf vergifteten Absichten wie Gier oder Hass begründet, desto vergifteter werden wir selbst und desto mehr leiden wir, ungeachtet dessen, was äußerlich mit uns passiert. Das Gegenteil trifft ebenso zu: Absichten, die von Mitgefühl und Weisheit erfüllt sind, formen uns zu Wesen mit größerer Geduld, die weniger anfällig für Leiden sind, ungeachtet dessen, was äußerlich mit uns passiert.

Kurz und bündig: Bei buddhistischem Karma geht es nicht darum, was einem zustößt, sondern wem es zustößt. 

Ja, die Bösen Können Erfolg Haben 

Der Fokus, den Buddha auf die Absicht, statt auf Handlungen und äußerliche Umstände legte, erlaubt es uns, völlig einzuräumen, dass die Bösen Erfolg haben können und dass selbstsüchtiges Verhalten einer Person großes Vermögen und Macht einbringen kann. Der geistige Zustand seiner solchen von Luxus umgebenen Person ist jedoch eine ganz andere Sache. Das bedeutet auch, dass Handeln aus mitfühlender Absicht heraus, uns nicht auf magische Weise vor den Stolperfallen und dem Pfeilhagel der Unglücksfälle des Lebens schützen kann. 

Doch Handeln aus förderlichen Absichten heraus, eröffnet die Möglichkeit, zu einer Person zu werden, die diesen Herausforderungen mit weniger Verdrießlichkeit und größerer Leichtigkeit begegnet. Es finden sich Exemplare unter unseren großen spirituellen Koryphäen, die diese Möglichkeit verinnerlicht haben, wie zum Beispiel der Dalai Lama und Thich Nhat Hanh. Die Früchte ihres Karma waren nicht die Gräueltaten, die ihnen widerfuhren, sondern die Gelassenheit und das aktive Mitgefühl, das sie angesichts solcher extremer Unterdrückung und Gewalt zeigen. 

Ebenso ist krank zu werden nicht das Ergebnis des schlechten Karmas einer Person. Menschen werden alt, erfahren Leiden durch Krankheiten und sterben schließlich. Der Buddha hat nie gesagt, dass man die richtigen karmischen Samen säen könne, um eines dieser Dinge zu umgehen. Sie sind einfach nicht optional.

Doch ob wir oder ob wir nicht leiden, wenn wir mit ihnen konfrontiert werden, liegt ausschließlich in unserer Hand. 

Nicht Alles ist Dein Karma 

In gewisser Hinsicht trifft es zu, dass Karma bedeutet, dass wir ernten, was wir säen. Der einzige Unterschied ist, dass wir eher in den Furchen des Geistes säen und weniger in den Feldern der physischen Welt.

Das soll nicht heißen, dass unsere Handlungen keine Konsequenzen haben. Wenn wir Menschen anlächeln, ist es sehr wahrscheinlich, dass man uns zurücklächeln wird. Wenn wir Menschen schlagen, ist es sicher, dass wir auch geschlagen werden. Dennoch ist das endgültige Ergebnis unseres Verhaltens einigermaßen unvorhersehbar. Es kann sein, dass wir einen Fremden anlächeln und im Gegenzug von ihm geschlagen werden.

Diese Unvorhersehbarkeit entsteht, weil andere Ebenen von Kausalität [bzw. Ursächlichkeit] im Universum am Werke sind.

Nicht alles ist unser Karma. 

Der Buddha hat uns sogar über diese anderen Ebenen von Ursächlichkeit recht deutlich unterrichtet, in dem was uns als die fünf Niyamas bekannt ist. Es lohnt sich, sie kurz unter die Lupe zu nehmen. Hier geben wir ihnen einen modernen Anstrich. 

Die erste Ebene von Ursächlichkeit wird Utu Niyama genannt oder die Ebene der Physik und Chemie.

Die zweite Ebene ist bekannt als Bija Niyama oder biologische Ursächlichkeit. Diese neue Ebene ist erforderlich, weil lebendige Organismen komplexer sind, als nur ihre physikalischen und chemischen Bestandteile.

Indem wir die Leiter der auftauchenden Komplexität weiter hoch klettern, sehen wir, dass einige lebendige Organismen ein Nervensystem und einen Geist haben, der nicht vollkommen verstanden werden kann, wenn man nur die beiden vorausgehenden Ebenen von Utu und Bija Niyama betrachtet. Daher sprach der Buddha über Citta Niyama oder psychologische Ursächlichkeit.

Einige Geister haben eine engere Beziehung zu den vorausgehenden Ebenen. Nehmen wir zum Beispiel eine Eidechse: sie verhält sich ziemlich vorhersehbar, aufgrund der festen Verknüpfungen zwischen chemischen Signalen und genetischen Codes. Wir werden nie einer Eidechse beibringen können, eine Zeitung zu apportieren. Andere Geister, wie zum Beispiel die von Hunden und Pferden, besitzen eine größere Flexibilität. Dennoch benötigt der Hund für das Erlernen des Apportierens einer Zeitung einen äußerlichen Impuls – genauer gesagt, unsere beharrlichen Bemühungen. Das Verhalten stammt nicht ausschließlich aus dem Geist des Hundes selbst. Und tatsächlich gibt es möglicherweise nur ein Tier auf diesem Planeten, das über einen "selbst-formenden" Geist verfügt: der Mensch. Für uns müssen wir eine weitere Ebene der Ursächlichkeit festlegen: karmische oder absichtliche Ursächlichkeit, bekannt als das Kamma Niyama.

Kamma Niyama eröffnet einen Raum für Reflexivität, Selbstorganisation und sich ändernde, tief verwurzelte Gewohnheiten des Körpers, der Rede und des Geistes. Die Kostbarkeit des menschlichen Lebens liegt in diesem Potential. Anders ausgedrückt ist karmische Ursächlichkeit eine vollkommen neue Ebene der Ursächlichkeit im Universum, die uns die Möglichkeit schenkt zur höchsten Ebene, Dhamma Niyama oder Äußerste Realität genannt, zu erwachen.

Dhamma Niyama beschreibt die uneingeschränkte, unteilbare Realität, das Universum in seiner Gesamtheit. Alle Teilbetrachtungen dieser Sphären sind Erzeugnisse eines Geistes, der sich bemüht, das Höchste zu erfassen. Wir erstellen Begriffsmodelle, um diese Ebene zu verstehen, und sicherlich sind einige Modelle besser als andere. Wäre dies nicht der Fall, hätte der Buddha sich nicht die Mühe gegeben zu lehren. Aber auf dieser Ebene sind alle Modelle gleichermaßen inhaltslos.


Indem wir sagen, das alles unser Karma sei, reißen wir dieses enorme Spektrum von Ursächlichkeit an uns und beziehen es auf einen einzelnen, ichbezogenen Geist.

Wenn wir die Komplexität mit der wir es zu tun haben erkennen, betrachten wir Ereignisse nicht länger als das Ergebnis von Karma, sondern vielmehr als das Produkt bestimmter physikalischer Ursachen und Gegebenheiten. Wir fallen auch nicht mehr magischem Denken und Glauben zum Opfer, so zum Beispiel wenn wir glauben, dass wir Geld erhalten und mit Freundlichkeit überschüttet werden, wenn wir selber Geld geben und freundlich sind.

Anstelle dessen erkennen wir, dass wenn wir Hass durch Mitgefühl oder Habgier durch Großzügigkeit ersetzen, ebendiese Absichten die Art des Wesens formen, das wir werden, ob nun reich oder arm.

Das ist Karma.

~ Culadasa and Matthew Immergut 
    Redakteur: Emily Bartran 

[To read this article in English, please go to: | Um diesen Artikel auf Englisch zu lesen, besuchen Sie bitte: "Karma: It's Not About What We Do"] 


(Source|Quelle: Elephant Journal
Transl.|Übers.: Nicolas von Kospoth)

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